Seit nunmehr fast 2 Jahren betreibe ich aktiv meinen Instagram-Kanal. Innerhalb dieser Zeit ist die Reichweite meines Kanals auf über 40.000 Follower:innen gestiegen. Gerechnet habe ich damit keineswegs, überfordert bin ich regelmäßig. Angefangen habe ich den Kanal mit dem Ziel, wissenschaftliches Arbeiten leicht verständlich aufzubereiten. Die Gedankenkette war einfach: Wissenschaftliches Arbeiten ist ein wichtiger Bestandteil von Forschung > Ich gebe Lehre zum forschenden Lernen > Forschung bewegt mich > FrauForschung war geboren. Nicht ahnend, dass dieser Name eines Tages Menschen wütend machen wird.
Ein Blick auf meine aktuelle Timeline zeigt, dass sich meine Ausrichtung seither ein wenig verändert hat: Ich bin politischer, aktivistischer, kritischer, gleich ob Wissenschafts-, Hochschul-, oder Schulsystem. Auch wenn sich die Inhalte etwas verschoben haben, den Blick auf und für die Studierenden habe ich nie verloren. Studierende haben kaum eine Lobby, eine viel zu leise Stimme in der Gesellschaft, stehen im politischen Schatten und sind meiner Meinung nach auch in den Medien unterrepräsentiert. Wer jetzt glaubt, dass Studierende doch nur eine kleine Gruppe von Menschen in unserer Gesellschaft ausmachen, der irrt. Im Wintersemester 2022/23 waren rund 2,9 Millionen Studierende an einer deutschen Hochschule eingeschrieben. Zum Vergleich: Im Schuljahr 2022/23 lernten 8,7 Millionen Schüler:innen an allgemeinbildenden Schulen. So sehr ich die mediale Präsenz der aktuellen Schulsituation schätze, so sehr macht es mich traurig, dass Hochschule nicht eine ähnliche Sichtbarkeit und Präsenz erfährt.
Vor diesem Hintergrund mache ich seit einigen Monaten vermehrt Reels, die die Lebensrealitäten von Studierenden sichtbar machen und versuche das starre Geflecht, in dem sich Hochschule bewegt, aufzuweichen. So wie auch am 02.05.2024, als ich diesesReel gepostet habe, welches inzwischen über 700.000 Aufrufe hat:
Die Reaktionen auf das besagte Video hätten mich nicht mehr überraschen können. Ich subsumiere die Hate-Kommentare in 2 Kategorien:
(1) Aberkennung meiner beruflichen Position als Dozentin (Lehrkraft für besondere Aufgaben) und meiner Kompetenzen. Es sei ein Job, der jede:r machen kann und nichts Besonderes. Zudem kann ich nur in den Geistes- oder Sozialwissenschaften lehren (Gender Studies wurde häufig genannt), da ich als es als Frau sonst nicht in diese Position käme.
(2) Kommentare, die mich, entweder einzeln oder in Kombination, aufgrund meiner offen gelebten Queerness, meines äußeren Erscheinungsbildes, meiner weiblichen Lesart und oder meines Engagement für mentale Gesundheit misogyn angreifen und beleidigen.
Insbesondere die erste Kategorie lässt sich dem sogenannten Matilda-Effekt zuordnen. Der Effekt beschreibt ein Phänomen, bei dem die wissenschaftliche Expertise und die Leistungen von weiblich gelesenen Personen systematisch ignoriert, minimiert oder fälschlicherweise männlichen Kollegen zugeschrieben wird. Wunderbar beschrieben hat es einst Simon Meier-Vieracker, auch bekannt als @Fußballinguist:
Mit diesem Wissen stellt man sich nun Folgendes vor: Man benennt die Kommentare als misogyn, verweist darauf, dass dies einem weißen cis Mann so nicht widerfahren würde (für einen Überblick über Gender Hate im Internet siehe Ging & Siapera, 2019) und fasst die Kommentare als Beispiel für einen Matilda-Effekt zusammen. Die Reaktionen darauf haben mich selbst nach 2 Jahren Instagram zutiefst überrascht. Ich bin es gewohnt, von vorrangig männlich gelesenen Personen beleidigt und angegriffen zu werden. Das hat mich nicht überrascht. Was mich überrascht hat, waren auch die offensichtlich weiblich gelesenen Accounts mit wissenschaftlichen Background, die sich vom Matilda-Effekt angegriffen gefühlt haben. Der Grund: Meine Reichweite, der Name FrauForschung, die Unbefristung, der fehlende Doktortitel und die bislang nicht vorhandenen wissenschaftlichen Publikationen. Folgend ein, durchaus seichtes, Beispiel:
Wenn man mit hoher öffentlicher Präsenz als "Ich bin FrauForschung" beziehungsweise als "studierte Bildungsforscherin" auftritt, würde ich auch von einem Dr. ausgehen - oder zumindest von einer Reihe an beeindruckenden wissenschaftlichen Publikationen.
Was bedeutet das? Nun, es bedeutet vor allem, dass das Wissenschaftssystem ein Anerkennungs- und Wertschätzungsproblem hat. Solange die Reputation von Wissenschaftler:innen ausschließlich auf dem h-Index (Maß für den Einfluss einer Person in der Wissenschaft aufgrund der Häufigkeit der Zitationen), eingeworbenen Drittmitteln und akademischen Titeln beruht, solange bleiben patriarchale Strukturen, stereotype Wahrnehmungen und prekäre Arbeitsituationen persistent, welche sich letztlich auch tief in den Erwartungen und Vorurteilen der Gesellschaft verwurzeln. Für die Wissenschaftskommunikation bedeutet das vor allem eines: Potenzialverschenkung - und das sowohl auf der Seite der Produzent:innen als auch der Rezipient:innen. Insbesondere für weiblich gelesenen Promotionsstudent:innen erscheint dieses Signal verheerend, wenn sie die Sozialen Medien wissenschaftskommunikativ bereichern wollen.
Letztlich entbehrt das Ganze alles nicht einer gewissen Ironie: Die Reaktionen in den Kommentaren spiegeln eine internalisierte Akzeptanz und Reproduktion jener Strukturen wider, die sie selbst unterdrücken. Womöglich ist es für die kommentierenden Personen einfacher, mir bewusste Irreführung zu unterstellen, statt sich selbst einzugestehen, dass man sich aufgrund bestimmter Stereotype getäuscht hat. Eine größere Bestätigung für die Relevanz meines Kanals hätte ich mir kaum vorstellen können.
Wer sich weiter das Thema interessiert, dem empfehle ich folgenden Vortrag von Frau Amrei Bahr auf der WissKom 2023:
Quellen:
Ging, Debbie & Siapera, Eugenia. (2019). Gender Hate Online Understanding the New Anti-Feminism: Understanding the New Anti-Feminism. 10.1007/978-3-319-96226-9
“..statt sich selbst einzugestehen, dass man sich aufgrund bestimmter Stereotype getäuscht hat” Das Dozenten an Hochschulen in Deutschland Professoren sind oder die Venia legendi haben ist halt kein Stereotype, sondern steht so im Gesetz. Du nennst dich selbst Dozentin und wunderst dich darüber, dass Menschen annehmen, dass du promoviert hast oder zumindest schon publiziert hast? Ernsthaft? PS: Es gibt auch einen Unterschied dazwischen Wissenschaftler auschließlichlich am h-score zu bemessen und sich Forscherin zu nennen ohne ein einziges